05.15 Uhr. Der Wecker klingelt. Ist es wirklich schon Zeit? Das Vogelgezwitscher draußen verrät: Ja, das ist es. Hmm.
Zum Glück befinden wir uns im Sommerhalbjahr. Sich ohne Tageslicht zu dieser Uhrzeit aus dem Bett zu schieben, und das quasi jeden Morgen, wäre schließlich kaum menschlich. Eine Viertelstunde später verschwinde ich im Bad, während der Wasserkocher läuft. Kurze Zeit später wird der Kaffeefilter in den Filterhalter gesteckt, dieser auf die große Thermoskanne, ein, zwei, drei, vier, fünf gehäufte Esslöffel Kaffeepulver rein und dann heiß Wasser druff. Stullen schmieren, Sauerteig füttern. Sind die Rauchschwalben schon wach? Ein Blick unter das reetgedeckte Vordach verrät: die Vögel sind mit der Morgentoilette noch nicht ganz fertig, wirken noch ein wenig verpennt.
Mittlerweile haben wir sechs Uhr morgens, die Sonne hat sich über den Horizont geschoben und der Kaffee ist durch. Ein Teil geht in die kleine Thermoskanne, ein weiterer in die Tasse, der Rest bleibt für die glückliche Schlafmütze, die noch im Bett liegt. Während die orange-gelben Sonnenstrahlen die Nebel von den Wiesen vertreiben, mümmelt ein Feldhase sein taufeuchtes Frühstück. Ich süppel meinen Kaffee und schaue zu. Schließlich wird es Zeit, zur Arbeit zu fahren.
Der Weg zur Arbeit. Verkehr, Stau, verschlafene Menschen im Morgenstress, volle Autobahn. Ruhrpottrealität. A40 lässt grüßen.
Zum Glück befinden wir uns in Mittelholstein. Die Anzahl Autos, die mir begegnen, kann ich manchmal an meinen zwei Händen abzählen. Aber erst geht es noch an einigen Rehen vorbei, die auch ihr taufeuchtes Frühstück knabbern. Und an den Bio-Kühen vom Nachbarn, mit ihren Kälbchen. Dann durch verschlafene Dörfer: Gokels, Lütjenwestedt, Warringholz, Schenefeld.
Chronotypisch bedingt fühle ich mich den halben Tag meistens wie die Schwalben um sechs. Schon auf den Beinen, aufnahmefähig, aber vieles ist doch ein wenig zäh. Ob es dabei warm oder kalt, sonnig oder bewölkt ist, macht durchaus einen Unterschied. Kaffee hilft. Ein gutes Frühstück würde wohl noch mehr helfen, aber trotz Hungergefühl kriege ich morgens kaum was runter. Die erste richtige Mahlzeit habe ich somit drei Stunden nach Arbeitsbeginn, so gegen zehn. Da ist noch Optimierungspotenzial.
Die Rosenschere kürzt Zweigspitzen, während die schwarze Amsel auf dem Bauzaun alles im Blick hält, jeden aufs Gelände fahrenden LKW scharf und mit aufgestellten Schwanzfedern beobachtet und viel schimpft. Wäre das mein Chef, ich würde eine Beschwerde schreiben bei all dem Gemecker. Zwischendurch zwitschert die Dorngrasmücke seiner Liebsten ein Lied, auch der Bluthänfling mit hellroter Brust lässt sich hören und sehen. Gelegentlich der epische Ruf eines Spatzen. Tschöp.
Mittags ist mein Arbeitstag vorbei, die Landschaft auf dem Rückweg immer noch schön, aber nicht mehr so romantisch wie morgens. Die wahre Erschöpfung setzt erst bei der Ankunft zuhause ein. Dabei ist der Tag doch noch lange nicht vorbei: Es gibt noch so viel zu tun, im Garten, im Haus, sogar im Wald. Beete wollen bestellt, “Un”kräuter entfernt, der Abwasch gemacht werden. Weitere Gartenplanung, was kommt wohin und wann? Nachrichten lesen, E-Mails checken und schreiben, wie denn, wenn doch draußen die Sonne scheint? Und dann ist da noch all das zukünftige Feuerholz im Wald, was mit der Schubkarre rausgefahren werden muss, aber nicht nur eine Fahrt, eher so zehn, fünfzehn. Der Kopf ist noch lange nicht ausgelastet, will Dinge tun, auch ein wenig Anstrengung haben. Körper so: “Hallooo, 05:15 Uhr, haste schon vergessen?!”
Chronotypen – da unterscheidet man zwei Extreme, die “Lerchen” und die “Eulen”. Der natürliche Biorhythmus der Lerchen lässt sie früh aufstehen und früh ins Bett gehen. Die Eulen hingegen gehen spät ins Bett – häufig deutlich nach Mitternacht – und schlafen am nächsten Tag lange. Nicht einfach nur, weil sie gerne die halbe Nacht Party machen und das Schlafdefizit dann ausgleichen müssen. Solche gibt es sicher auch, aber davon rede ich nicht. Für diese Menschen ist das einfach der natürliche Biorhythmus, der zu einem großen Teil genetisch vorgegeben ist. Der Albtraum einer jeden Eule ist sicherlich, zum frühen Aufstehen gezwungen zu werden und direkt eine fröhlich-wache Lerche um sich zu haben, die ihr heiter und ununterbrochen ins Ohr zwitschert. Da wäre man doch gerne ein echter Uhu, würde seine Krallen in das Plappermaul vergraben und dann seinen Schnabel nochmal unter den anderen Flügel verstecken, um ein paar Stündchen weiter zu schlummern.
Ich habe lange genug ohne feste Arbeitszeiten gelebt, um meinen (aktuellen) natürlichen Biorhythmus halbwegs erkannt zu haben (ich formuliere das deswegen mit Vorsicht, da sich die Menge an Schlaf, die man benötigt, ja bekanntlich mit dem Alter ändert). Wahrscheinlich würde man mich eine moderate Eule nennen (nach Ausfüllen eines Fragebogens auf https://www.ifado.de/fragebogen-zum-chronotyp-d-meq/ wurde ich tatsächlich als “moderater Abendtyp” eingestuft); zwischen 23:00 und 00:00 Uhr ist eine gute Zeit, ins Bett zu kommen. Wird die Nacht nicht unnötog durch Lichtverschmutzung gestört – zu viel blaues Licht unterdrückt das Hormon Melatonin, welches müde macht – muss ich das Schlafzimmer nicht künstlich abdunkeln und schlafe dann schätzungsweise bis 08:00. Also, im Durchschnitt, versteht sich. Und statt eines verhaltenen Schuhu soll ich nun mit den Lerchen singen. Geht denn das? Und wenn ja, wie lange?
Die Forschung ist auf dem Gebiet der Chronobiologie nicht untätig. Es scheint tatsächlich möglich zu sein, sich über einen längeren Zeitraum “umzuerziehen”. Eine kurzfristige rein physiologische Umstellung (vor allem auf einen natürlichen Rhythmus) ist ebenfalls möglich, das Anpassen der Gewohnheiten bedarf allerdings etwas mehr Ausdauer. Auch spielt es wohl eine Rolle, ob man auf dem Land bzw. in Kleinstädten lebt oder in von Kunstlicht stärker dominierten Großstädten, in denen die Bedeutung der Sonne als taktgebendes Element weniger bedeutsam ist. Dennoch kann es einige Probleme mit sich bringen, wenn eine Nachteule versucht, den Anforderungen und Erwartungen einer scheinbar von Frühaufstehern geprägten Gesellschaft zu folgen. “Der frühe Vogel fängt den Wurm”, oder auch “Dem schlummernden Wolf glückt selten ein Fang”, wie es in Strophe 57 des Hávamál heißt. Tugendhaft und fleißig sind die Frühaufsteher, haben ja schon so viel geschafft, wenn sich das andere chronotypische Extrem gerade aus dem Bett pellt und wie ein Zombie zur Kaffeemaschine schlurft. Da die geregelte Arbeitswelt kaum auf die Eulen eingestellt zu sein scheint, leiden letztere unter einem tagesrhythmischen Jetlag – sie brauchen halt noch eine Weile. Manchen Studien zufolge kann dies dazu führen, dass sie ihre Gefühle weniger gut im Griff haben – diese z.B. eher unterdrücken und Situationen häufig negativer bewerten – und dass eine höhere Tendenz zu psychischen Erkrankungen sowie eine geringere Lebenserwartung damit einhergeht.
Mit meinem “neuen Rhythmus” kämpfe ich noch nichtmal zwei Wochen und somit ist es wohl zu früh zu beurteilen, ob ich mich daran gut anpassen kann oder nicht. Bislang ist geplant, den Kram etwa drei Monate durchzuziehen. Wie es danach aussieht, ob ich weiter mache und falls ja, wie sich die Zeiten gegebenenfalls anpassen lassen, wird sich noch zeigen. Grundsätzlich genieße ich die frühen Morgenstunden gerne. Vielleicht, weil ich sie sonst so selten erlebe und sie also etwas Besonderes sind.
Noch ein Gedanke am Rande: Durch die derzeitige Pandemie sind viele Menschen zum Homeoffice gezwungen. Da der lästige Arbeitsweg wegfällt, können sie länger schlafen als bisher. Vielleicht ist dies eine Chance für manche, ihrem natürlichen Rhythmus entsprechend zu arbeiten und stellen fest, dass sie so leistungsfähiger sind? Dies setzt natürlich auch ein gewisses Maß an Selbstreflexion voraus und dieses schätze ich gerade bei eingefleischten Gewohnheitstieren als leider eher gering ein...
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Dem aufmerksamen Leser ist aufgefallen, dass ich hier nur Artikel aus einer einzigen Quelle verlinkt habe. Das geht natürlich gar nicht. Kopf so: Such besser noch woanders. Check die Primärquellen. Ignoriere doch nicht all die physio-neuro-molekular-undsoweiter-Artikel zum Thema! Körper so: Hallooo?! 05.15 Uhr!