Der Eisvogel (Alcedo atthis) liebt naturnahe Fließgewässer mit schönen Abbruchkanten an den Prallhängen, in die er seine Niströhre bauen kann und in denen er viel Nahrung findet. Befindet man sich an einem solchen Gewässer und bringt ein wenig Geduld und Ruhe mit, kann man mit etwas Glück den kleinen blau-orangen Vogel mit seinem langen Schnabel zu Gesicht kriegen. Meinen ersten Eisvogel sah ich von einem kleinen Kanu aus, auf der Ruhr bei Witten. Als ich, Jahre später, an einer anderen Stelle desselben Flusses Uferschwalben beobachten durfte, saß auch ein Eisvogel am gegenüberliegenden Ufer. Das war wohl die längste Begegnung, die ich mit dem hübschen Tier hatte. Ich sah und hörte ihn noch weitere Male, zum Beispiel an schön gelegenen größeren Bächlein in Dänemark, wo ich mich für eine Pause auf die Brücken setzte. Nach einer Weile zischte der Eisvogel mit einem lauten Pfiff über das Wasser und unter meiner Brücke her.
In Schleswig-Holstein ist der Erhaltungszustand des Eisvogels derzeit günstig (Rote Liste 2010), Deutschlandweit gilt er jedoch als gefährdet (Stufe 3).
Um den Eisvogel effektiv zu schützen, ist es vor allem wichtig, seinen Lebensraum zu erhalten. Da er quasi DER Symbolvogel für lebendige Flüsse und Auen ist, wurde er für 2009 schon einmal zum Vogel des Jahres. Aber wie steht es denn um diesen Lebensraum?
Auf der "Roten Liste gefährdeter Biotoptypen" (Link zur Presseinformation) befinden sich "natürliche und naturnahe Fließgewässer" im roten Bereich, gelten als "von vollständiger Vernichtung bedroht". "Fließgewässerbegleitende Erlen- und Eschenwälder" sind "stark gefährdet".
Die EU-WRRL
Da wird man doch stutzig. Sollten denn nicht mithilfe der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) die oberirdischen Gewässer Europas bis 2015 (!) in einen "guten ökologischen und chemischen Zustand" gebracht werden? Bei "erheblich veränderten oder künstlichen Gewässern" sollte bis 2015 immerhin ein "gutes ökologisches Potenzial" erreicht werden. Mittlerweile ist die Frist bis 2027 verlängert worden. Gemäß einer Veröffentlichung des UBA von 2017 sind aber lediglich "9 % der Fließstrecke der natürlichen Flüsse und Bäche [...] in einem guten oder sehr guten ökologischen Zustand". Weiter heißt es: "Abzusehen ist schon heute, dass bis [...] 2027 nicht alle Gewässer in einem guten Zustand nach WRRL sein werden." Haben sich die Staaten da mal wieder Ziele gesetzt, die sie ohnehin nicht erreichen können? Wo bleibt da die Motivation, sich wirklich anzustrengen, wenn der negative Ausgang doch ohnehin schon anzusehen ist?
Fairerweise sollte erwähnt werden, dass es ein immenser bürokratischer Aufwand ist, all die Gewässer der Europäischen Union aufzunehmen, Messstellen einzurichten, anhand vieler verschiedener Kriterien zu bewerten und weitere Untersuchungen durchzuführen - plus gegebenenfalls Verbesserungen zum Beispiel in Form von Renaturierungen, die eine komplette Umgestaltung eines Bachbettes bedeuten können. Und das stellenweise über Staatengrenzen hinweg koordiniert. Hindert uns eine Überbürokratisierung der Europäischen Länder daran, unsere aquatischen Lebensräume zu verbessern? Wie viele Eisvögel könnten durch wie viele Auen flitzen?
Bundesprogramm Blaues Band
Immerhin sind die durch die WRRL gegebenen Verpflichtungen nicht das Einzige, was zumindest Deutschland zu weiteren Bemühungen im Fließgewässer- und Auenschutz antreibt. 2017 wurde das Bundesprogramm "Blaues Band" ins Leben gerufen. Ansage ist eine verstärkte Investition "in die Renaturierung von Bundeswasserstraßen" und das Setzen "neue[r] Akzente in Natur- und Gewässerschutz, Hochwasservorsorge sowie Wassertourismus, Freizeitsport und Erholung". Man will "durch Renaturierungsmaßnahmen an Bundeswasserstraßen einen Biotopverbund von nationaler Bedeutung" schaffen. Die "Flusslandschaften sollen wieder als Ganzes betrachtet, also nicht in Gewässerlauf, Ufer und Auen unterteilt werden. Damit wird die Gewässer- und Auenentwicklung in Deutschland einen neuen Qualitätsschub erhalten." Zwei Jahre später wurde zusätzlich das "Förderprogramm Auen" ins Leben gerufen, welches sich in erster Linie an Naturschutz- und Umweltverbände, Landkreise und Kommunen richtet. Gibt es Hoffnung für den Lebensraum des Eisvogels?
Gut zwanzig Jahre ist her, seit die Wasserrahmenrichtlinie in Kraft trat. Die ambitionierten Ziele sind weit verfehlt worden. Obwohl es viele weitere Projekte zur Verbesserung von Fließgewässern und Auen gibt (die hier vorgestellten sind nur Beispiele aus großpolitischer Ebene), scheint der Weg lang und träge.
Wird der Eisvogel Vogel des Jahres, so könnte er für die Trägheit der Politik angesichts der Degeneration wertvoller Ökosysteme stehen.