Auch das Rotkehlchen will Vogel des Jahres werden. Mit seiner rostroten Brust, die es stolz präsentiert, und seinen unwiderstehlichen Knopfäuglein ist es jedem Gärtner wohl vertraut. Es lässt sich gerne an Futterstellen blicken. Zuweilen ist seine Fluchtdistanz sehr gering, sodass man es gut bewundern kann. In unserem vorherigen Garten schien es im Eibenstrauch regelrecht zu warten, bis wir den reifen Kompost voller Asseln und Springschwänzen fertig auf den Beeten verteilt hatten. Setzten wir uns nur wenige Meter an die Seite und verhielten uns ruhig, kam es direkt herbei uns schnappte sich jedes Krabbeltier, was ihm vor den Schnabel kam. Bei meinen Großeltern kriegen geduldige Rotkehlchen bei der Gartenarbeit Regenwürmer zugeworfen. Wikipedia (Stand 19.01.2021) schreibt zu seinen Essgewohnheiten: "Das Rotkehlchen ernährt sich hauptsächlich von Insekten, kleinen Spinnen und kleinen Regenwürmern. Ergänzend nimmt es Früchte und weiche Samen zu sich, darunter das Rotkehlchenbrot, Beeren (beispielsweise Mehlbeeren), Seidelbast und Liguster. Dabei behalten etwa 80 Prozent der aufgenommenen Beerensamen ihre Keimfähigkeit. Während der Brutzeit ist die Nahrung fast ausnahmslos aus tierischen Bestandteilen zusammengesetzt. Im Spätsommer, Herbst und Winter wird sie durch pflanzliche Nahrung ergänzt." Beim Rotkehlchenbrot handelt es sich übrigens um den Spindelstrauch, auch Pfaffenhütchen genannt, ein für uns giftiger, aber sehr dekorativer und ökologisch offensichtlich wertvoller heimischer Strauch.
Den Ornithologen und Vogelstimmen-Imitator Uwe Westphal hörte ich mal sagen: "Das Rotkehlchen profitiert von großen, grabenden Säugern." Ob Gärtner oder Wildschwein - für die kleine Rotbrust macht das keinen Unterschied.
Der Wikipedia-Artikel ist sehr ausführlich und mit vielen Quellen belegt, deswegen zitiere ich daraus noch einmal einige interessante Eckdaten: "Das Rotkehlchen lebt ursprünglich in Auwäldern, Laub-, Misch- und Nadelwäldern, sofern die Krautschicht nicht zu dicht und eine reichhaltige Bodenfauna vorhanden ist." "Das offene, napfförmige Nest befindet sich meistens in Bodenvertiefungen, in Halbhöhlen an Böschungen, im Wurzelwerk am Boden, unter Gestrüpp oder in hohlen Baumstümpfen. Gelegentlich wird es in Baumhöhlungen, Mauerlöchern oder anderen Höhlen angelegt." "Für den Bruterfolg des Rotkehlchens ist nicht die Größe des Reviers entscheidend, sondern die Beschaffenheit des Bodenbewuchses." Zusammenfassen ließe sich all dies in etwa so: Damit sich das Rotkehlchen richtig wohl fühlt, braucht es Strukturreichtum: offene, lebendige Böden und eine Vielzahl an Büschen, Stümpfen und anderen Strukturen, um sich zu verstecken und sein Nest zu bauen. Vor genau diesem Hintergrund ist es 1992 schon einmal zum Vogel des Jahres gewählt worden.
Meiner Meinung nach der perfekte Rahmen für eine Wiederwahl; denn trotz Natur- und Landschaftsschutzgebieten ist die deutsche Landschaft in weiten Teilen ausgeräumt. In den Gärten - wichtige Ersatzlebensräume für Vögel wie das Rotkehlchen - verlaufen die Grenzen zwischen Büschen und Wiese (bzw. Thuja oder Kirschlorbeer und dichtem, sterilen Rasen) hart und übergangslos. Wo in Norddeutschland noch Knicks an Äcker und Wiesen grenzen, fahren die Bauern gebietsweise gerne so nah wie möglich an diese ran, um maximalen Ertrag zu erzielen. Der eigentliche, meterbreite Lebensraum "Knick" wird so auf den bewachsenen Wall selbst reduziert. Besser als nichts, im Zuge der Flurbereinigung sind ohnehin schon viel zu viele dieser Landschaftsstrukturen vernichtet worden. Dennoch: der Druck bleibt.
NABU und LBV gaben dem Rotkehlchen dieses Jahr die Botschaft "Mehr Gartenvielfalt!" und haben den Wunsch nach mehr Strukturreichtum auf diesen einen Lebensraum spezifiziert. Pflanzen wir Rotkehlchenbrot statt Kirschlorbeer, lassen wir lebendige Wiesen wachsen statt Schotter zu kultivieren und wählen den Robin zum Jahresvogel.