Den Goldregenpfeifer habe ich bislang nur an einem Ort gesehen: Island. Während einer Wanderung in Snæfellsnes trippelten sie immer wieder über die karge Landschaft, behielten uns gut im Blick. Einen "Abend" (es war um Mittsommer und was man hier Abend nennt, hielt die ganze "Nacht" an), als ich nach einem geschützten Platz für unser Zelt suchte, lief ein Goldregenpfeifer in gewissem Abstand vor mir her und ließ immer wieder einen hohen Pfeifton hören. Ich vermute, dass er in der Umgebung sein Nest hatte und mich weglocken wollte (was zu klappen schien, da ich zufällig in die gleiche Richtung ging, in die er mich "führte"). An der Stelle, wo letzten Endes unser Zelt stand, wurden wir von keinem Vogel mehr "behelligt", störten also wohl zum Glück nicht weiter.
Dass es ihn - zumindest im Sommer - auf Island gibt und wie er aussieht, war bis vor Kurzem alles, was ich über den Goldregenpfeifer wusste. Bevor er es in die Top 10 der zum Vogel des Jahres Nominierten schaffte, wusste ich nichtmal, dass er auch in Deutschland vorkommt.
Lernen wir also etwas über den Goldregenpfeifer.
Echter Nordeuropäer
Auf avi-fauna.info heißt es zum Goldregenpfeifer: "Der Goldregenpfeifer (Pluvialis apricaria) war bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ein relativ häufiger Brutvogel der Torfmoore und Heidelandschaften der Norddeutschen Tiefebene. Mit [...] Rückgang der Schafhaltung und dem industriellen Torfabbau gingen die Bestände stark zurück. Mit nur noch 8-11 Brutpaar in Niedersachsens befinden sie sich zurzeit auf einem Minimum. Die Art droht in Deutschland auszusterben." Die Hauptbrutgebiete liegen in Grönland, Island, Schottland, dem Baltikum und dem nördlichen Eurasien. Im Steckbrief zum Vogel des Jahres 1975 (ja, er war schon einmal Jahresvogel) heißt es, dass gut die Hälfte des gesamten Brutbestandes auf Island brüte, ein weiteres Viertel in Norwegen. Kein Wunder also, dass wir den einen oder anderen "Goldi" dort oben gesehen haben.
In Norddeutschland kann man den etwa 200.000 Tiere starken skandinavischen Teil zur Zugzeit im Wattenmeer beobachten. Dann trägt er aber nicht sein hübsches Prachtkleid, sondern ist eher unauffällig gelbbraun gefärbt und nicht immer leicht zu erkennen.
Knackpunkt Lebensraum
"Nasse Heiden, moorige Grasflächen und Hochmoore" - dort brütet der Goldregenpfeifer gerne, wenn man ihn lässt. Wichtig ist eine niedrige Vegtationsschicht, denn wie sein Verwandter, der Kiebitz, behält er gerne die Übersicht. Doch naturnahe Nieder- und Hochmoore sind in Deutschland "von vollständiger Vernichtung bedroht" (aus: Rote Liste der gefährdeten Biotoptypen Deutschlands 2017) und auch nasse oder feuchte Heiden leiden unter der Nutzungsaufgabe dieser alten Kulturlandschaft. Ausgedehnte Moorflächen sind in unserem stark zersiedelten Land bei Weitem nicht mehr so häufig wie sie wohl einst waren; dort, wo es sie gibt, hilft es sicherlich nicht, sie in trockenen Jahren in Brand zu setzen, wie 2018 versehentlich geschehen.
Der Goldregenpfeifer lenkt die Aufmerksamkeit also ganz automatisch auf den Lebensraum seiner bevorzugten Brutgebiete, die in Deutschland in einer ganz misslichen Lage sind. Heidelandschaften bieten eine Zuflucht für viele besondere Arten, die nur durch den Einfluss des Menschen eine reale Chance aufs Überleben haben. Das klingt paradox, aber ausgedehnte Heiden sind ein menschengemachter Lebensraum, Resultat jahrhundertealter Weidetradition. Gemeint also ist nicht die ständige Präsenz des Menschen - wer in Heide oder Moor die Wege, soweit vorhanden, zu weit verlässt, stört. Vielmehr ist es der anthropogene Einfluss in Form von Beweidung, die in einem Gebiet nicht ganzjährig stattfinden muss (sodass Vögel in Ruhe brüten können) und dafür sorgt, dass aus einer offenen, strukturreichen Landschaft nicht dichtes Gebüsch und Wald wird.
Die Kulturnutzung der Moore hingegen hat tiefgreifende Schäden hinterlassen und tut dies noch immer, wo vorhanden. Trockenlegung zur Gewinnung von Grünland und Ackerflächen sowie Torfstich zur Brennstoffgewinnung zerstören diesen Lebensraum nachhaltig. Heute wird Torf auch zur Herstellung von Pflanzenerde für den Gärtnereibedarf abgebaut, mit Folgen für Umwelt und Klima. Zum Glück kann der Heimgärtner, wenn er diesen Raubbau nicht unterstützen will, auch auf torffreie Gartenerde zurückgreifen. Oder selber kompostieren.
Mit dem Goldregenpfeifer für den Moorschutz!
Moore zu erhalten, degenerierte Moore wieder zu vernässen - das sind konstruktive Maßnahmen zur Verlangsamung des Klimawandels. Denn Torf ist ein ausgezeichneter CO2-Speicher, besteht er doch vor allem aus pflanzlichem Material, was im dauernassen Zustand nicht zersetzt wird. Sobald Moore aber trocken fallen, kommen bodenbildende Prozesse in Gang, der Torf wird langsam zu Humus ungewandelt und dabei werden Treibhausgase freigesetzt. Möge uns der Goldregenpfeifer trotz all unserer Covid-19-Sorgen im Jahr 2021 daran erinnern, dass diese eine andere große Katastrophe, der menschengemachte Klimawandel, unser Leben noch immer bedroht. Schützen wir den Lebensraum des Goldregenpfeifers, gegen den Klimawandel!
Auf dem Titelbild zur diesem Blogpost ist übrigens ein Goldregenpfeifer zu sehen, wie er sich uns vom Wanderweg aus auf Island präsentierte. Allerdings ist er etwas schwer zu finden, deswegen hier eine kleine Hilfestellung: