Ein schwarzer Vogel mit gelb-orangem Schnabel huscht unter die Büsche, stochert auf der Wiese gekonnt nach Regenwürmern oder steht morgens stolz auf dem Dachfirst, sein Lied den Artgenossen entgegenträllernd: Die Schwarzdrossel oder Amsel (Turdus merula) ist vielen wohl bekannt. Wie alle europäischen Vögel ist sie zwar geschützt, aber sie ist in ihrem Bestand nicht bedroht. Sie nistet im dichten Schutz einer Hecke oder einer Fassaden-Bepflanzung wie z.B. Efeu, wirft einem im Herbst und Winter Laubhaufen durcheinander und pickt einem die Beetränder sauber, immer auf der Suche nach einem proteinreichen Snack. Wie wir letztes Jahr feststellen durften, verschmäht sie auch Nacktschnecken nicht, reibt diese aber vorher über den Boden, wohl um den lästigen Schleim loszuwerden. Gute Nachrichten für den Hobbygärtner.
Amseln sieht man so häufig, dass man meint, bei ihnen sei die Welt noch in Ordnung. Bei der diesjährigen "Stunde der Wintervögel" wurden in 87.11% aller Gärten Amseln gemeldet, insgesamt waren es 460912 Stück, pro Garten durchschnittlich etwa 2.96. Das bringt ihr bundesweit den vierten Platz ein (nach Haussperling, Kohlmeise und Feldsperling).
Die Amsel als Jahresvogel?
Also alles cool bei der Amsel? Wir wollen sie erstmalig zum Vogel des Jahres wählen, weil einfach mal alles in Ordnung ist? Wäre mal nett, oder?
So einfach ist es natürlich nicht. In einer ausgeräumten Agrarlandschaft findet die Amsel ebenso wenig Zuflucht wie in sterilen Gärten voller Laubbläser, Mähroboter und Schotterflächen; späte Kälteeinbrüche im Frühjahr erschweren die Jungenaufzucht, Trockenheit und Hitze machen ihr zu schaffen wie jedem anderen Tier auch und bei aller liebevoller Gartenvogel-Fütterung bleibt es ein Problem, dass die Insekten, eine wichtige Nahrungsquelle der Amsel, vor unseren Augen wegsterben. Stellvertretend für all dies könnte die Amsel als Vogel des Jahres 2021 gewählt werden. Aber es gibt da noch etwas. Und damit macht sie der Blaumeise den Titel als "Pandemie-Vogel" streitig.
Amselsterben und das Usutu-Virus
Seit einigen Jahren grassiert in Deutschland das Usutu-Virus. Es stammt ursprünglich aus Afrika und wird durch Stechmücken übertragen, Wildvögel stellen den Endwirt dar; nach Mitteleuropa gelangt es wahrscheinlich über Zugvögel. Kleinere Ausbrüche gibt es seit Mitte der 90er Jahre. Es sind viele verschiedene Vogelarten betroffen, aber Amseln scheinen besonders anfällig zu sein - oder sie fallen wegen ihrer Nähe zum Menschen einfach öfter auf. In den Jahren 2011/2012 kam es in Deutschland zum ersten großräumigen Ausbruch mit einem deutlichen Amsel-Massensterben in Südwestdeutschland. Verschwunden ist das Virus in der Region nicht, etwa fünf Jahre später kam es jedoch zu einem weiteren starken Ausbruch. Das Virus wurde nun auch in Nordwest- und Ostdeutschland gemeldet, außerdem war es in Belgien und den Niederlanden sehr präsent. Spätestens seit dem nächsten massiven Ausbruch 2018 ist es in ganz Deutschland nachgewiesen und auch im Folgejahr machte es keine Pause. Übertragungen auf den Menschen können stattfinden (über Stechmücken), sind hierzulande bislang aber selten. Es kann dabei zu einem Ausbruch des Usutu-Fiebers kommen, dies ist in jenen Infektionsfällen in Deutschland jedoch noch nicht geschehen.
Symptome und Meldungen
Der NABU fasst die Symptome infizierter Vögel wie folgt zusammen: "Vom Usutu-Virus befallene Vögel wirken offensichtlich krank, werden apathisch und flüchten nicht mehr und sterben meist innerhalb weniger Tage." Solche Fälle treten bislang in der Zeit zwischen Mai und November auf. In diesem Zeitraum ist ein Meldeformular des NABU aktiv, über welches kranke oder tote Vögel gemeldet werden können. Naturschützer und auch Wissenschaftler können ihre Augen nicht überall haben, weshalb die Unterstützung seitens der Bevölkerung sehr hilfreich ist.
Von außen ist dabei kaum erkennbar, ob der Vogel an Usutu erkrankt (und ggf. verstorben) ist oder nicht, Symptome werden noch erforscht. Das bedeutet natürlich, dass auch viele "Falschmeldungen" eingehen. Doch das ist nicht schlimm; mitgeschickte Fotos geben manchmal schon Aufschlüsse darüber, ob der Zustand des Vogels nicht auf einer anderen Ursache beruht. Treten im entsprechenden Zeitraum in einer Region plötzlich viele Meldungen kranker oder toter Vögel auf, die nicht andersweitig zu erklären sind, ist dies ein Hinweis für die Forscher, sich dieses Gebiet mal genauer anzusehen. Ohne die Meldungen wäre es ihnen vielleicht entgangen.
Sicherheit bieten auch Einsendungen toter Vögel. Was man beim Aufnehmen und Versenden dabei beachten muss, steht beim Meldeformular des NABU sowie auf der entsprechenden Seite des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin.
Was tun?
Unglücklicherweise heißt es auf den Info-Seiten des NABU: "Leider kann man Usutu-Infektionen weder verhindern noch behandeln. Es bleibt lediglich die einmalige Chance zu nutzen, die Auswirkungen einer für Deutschland neuen Vogelkrankheit auf wildlebende Vogelarten zu dokumentieren und deren Folgen abzuschätzen. Ziel ist es, neuartige Gefährdungsursachen für Vogelarten mit anderen Bedrohungen wie Klimawandel und Lebensraumverlust vergleichen und beurteilen zu können."
Doch etwas können wir dennoch tun, um es der Amsel und anderen Vögeln trotz dieser Gefahr etwas leichter zu machen. Als typischer Gartenvogel profitieren sie von umweltfreundlichen Gestaltungen dieses anthropogenen Lebensraumes. Giftfreie, naturnahe Gärten mit vielen Versteckmöglichkeiten und sauberen Trinkstellen können den Stress der Tiere verringern, ihre grundlegende Fitness verbessern und ihr Immunsystem stark halten. Aufhalten lässt sich dieses Virus wohl nicht; wir können keine Impfkampagnen starten und alle Stechmücken auszurotten ist auch keine Lösung.
Was das bedeutet, verstehen wir in den Jahren unserer eigenen Pandemie umso besser. Wählen wir also die Amsel, die Pandemie-Drossel, zum Vogel des Jahres 2021.
Stimmen wir ab!
Ab heute ist es möglich, auf https://www.vogeldesjahres.de/ seinen Favoriten unter den Top 10 zum Vogel des Jahres 2021 zu küren. Alle bis auf zwei habe ich bisher vorgestellt, für jeden gibt es gute Gründe. NABU und LBV haben sich für jeden Kandidaten ein Motto überlegt, die Botschaft, die der Jahresvogel in die Welt tragen darf. Manche davon stimmen mehr oder weniger mit dem überein, was ich mir selbst überlegt habe ("I want Moor" für den Goldregenpfeifer, "Mehr Wiese, weniger Acker" für den Kiebitz, "Schnabel auf für bunte Felder" für die Feldlerche), teilweise scheinen ganz andere Schwerpunkte gewählt worden zu sein ("Laubwälder fördern" für die Blaumeise). Das heißt nicht, dass meine Überlegungen oder die anderer Menschen falsch sind. Wer gerne für naturnahe Gärten stimmen will (Rotkehlchen sagt "Mehr Gartenvielfalt"), dessen Lieblingsvogel aber die Blaumeise ist, der macht nichts falsch, wenn er aus lauter Verwirrung schließlich für die Amsel ("Einfach mal wachsen lassen") oder den Haussperling ("Mehr Oasen in Betonwüsten") stimmt. Und nicht zuletzt ist das Abstimm-Formular bis zum 19. März offen. Es ist also noch genug Zeit zu überlegen.
Gut für mich, denn ich habe ja noch zwei Kandidaten vor mir.