Na, schon den Vogel des Jahres 2021 gewählt? Nein? Na dann aber fix! Bis zum 19. März kann man noch seine Stimme unter https://www.vogeldesjahres.de/ abgeben. Wer sich noch unsicher ist, kann auch den Bird-O-Mat ausprobieren und so herausfinden, welcher Vogel zu ihm/ihr passt. In unserem Haushalt haben wir natürlich schon lange gewählt. Wir haben uns für den Goldregenpfeifer entschieden. Nachdem ich meinen Blopost zu diesem Piepmatz geschrieben hatte, lernte ich, dass die letzte Brutpopulation in Deutschland tatsächlich schon erloschen ist und er nur noch als Wintergast vorbeikommt. So wie dem Goldregenpfeifer darf es seinem Lebensraum, den Mooren, nicht ergehen! Nicht nur sind es besondere Lebensräume, die Tier- und Pflanzenarten ein Zuhause geben, welche woanders nicht überleben würden. Nein, Moore nehmen auch eine extrem wichtige Rolle ein in der Verlangsamung des Klimawandels. So schrieb das Umweltbundesamt (UBA) 2016: "Allein in Deutschland im Jahr 2013 emittierten zerstörte Böden von Mooren und Wäldern Treibhausgase mit einer Klimawirkung von etwa 45 Millionen Tonnen CO2. Mit der Entwässerung von Mooren wird bisher unter Luftabschluss konserviertes pflanzliches Material abgebaut, was Kohlenstoff und Lachgas freisetzt." Intakte, nasse Moore hingegen speichern große Mengen an CO2, da sich das aufwachsende organische Material unter Luftabschluss nicht zersetzt, sondern zu Torf wird. Bei diesem Material muss es sich übrigens nicht nur um die typischen Torfmoose handeln, auch andere Pflanzen können zu Torf werden.
Dass in deutschen Dörfern - und mit Sicherheit auch anderswo - Torf in Handarbeit zu Heizzwecken gestochen wurde, ist übrigens noch gar nicht so lange her. In Stafstedt zum Beispiel, wo ich seit etwas über einem Jahr nun wohne, wurde mindestens noch bis in die sechsziger Jahre Torf gestochen. Das geht einerseits aus der Dorfchronik hervor, die einige spannende Dinge aus dem Leben "von früher" zu berichten weiß, aber natürlich wissen die Dorfleute auch noch davon zu erzählen. Irgendwann lohnte sich die mühselige Arbeit nicht mehr und etliche Moorflächen wurden aufgeforstet. Ich schätze, dabei handelt es sich primär um die Fichten-Kulturen, die nun langsam sterben (?); auf anderen Flächen stehen hingegen Waldstücke aus Erlen, Eichen und vor allem Birken, die noch recht jung scheinen und sich wohl im Zuge natürlicher Sukzession entwickelt haben werden. Darin finden sich immer wieder ehemalige Knicks, Grenzen alter Felder und Weiden, aber auch kleinere, auffällige "Becken" rechteckigen Umrisses, die vielleicht auf den ehemaligen Torfstich zurückzuführen sind.
Wenn wir Moore renaturieren und erhalten, profitieren nicht nur Tiere, Pflanzen und erschöpfte Naturschützer, sondern die gesamte Gesellschaft. Verschiedene Wege, wie wir dies erreichen können (und Moorflächen dabei sogar raffiniert wirtschaftlich nutzen), wird in diesem RiffReporter-Artikel ausführlich erläutert. Ein Beispiel für die Nutzung nasser Flächen, auf denen dann langsam Torf wachsen kann, ist der Anbau von Schilf und Seggen als Heizmaterial. Oder wer hätte gewusst, dass sich aus einer heimischen Fleisch fressenden Pflanze, dem Sonnentau nämlich, Hustenmittel produzieren lässt? Und auch regional denkende Liebhaber von Reetdach-Häusern dürften sich freuen, wenn das Material zum Decken ihrer Dächer nicht mehr importiert werden muss (die Ernte aus deutschen Feuchtgebieten deckt gerde einmal 15% der Nachfrage). Moorschutz-basierte Lösungen zur Verlangsamung des Klimawandels inklusive wirtschaftlicher Nutzung der Moorflächen mittels Paludikultur - die wirtschaftliche Nutzung nasser (Moor-)Flächen -, all dies ist bereits vorhanden. Nur an der Umsetzung hapert es.
Die Moore in unseren Gärten
Etablierung und Ausweitung von Paludikulturen - das klingt nach etwas, das man besser Politik und Landwirtschaft überlässt, unterstützt durch ein überlegt gesetztes Kreuz bei Wahlen, nicht wahr? Sicherlich gibt es noch mehr Möglichkeiten, diesen Wirtschaftswandel zu unterstützen. Bis dahin versuchen wir es mit einem eigentlich sehr einfachen Schritt im alltäglichen Moorschutz, von dem nicht nur die Moore in Deutschland, sondern auch solche jenseits der Bundesgrenzen profitieren. Dafür betrachten wir einen Moment folgendes Bild eines kleinen, angefrorenen Häufchens Blumenerde auf einer Wiese:
Na, sieht das nicht ideal für eine handvoll hübscher Blümchen aus? Gute Blumenerde, wie man sie kennt, wenn sie frisch aus der Verpackung kommt. Krümelig, ein wenig feucht, voller kleiner Pflanzenstückchen, braun-schwarz.
Wer mir jetzt zustimmt - "Ja, tolle Blumenerde, so sieht die, die ich immer kaufe, auch aus!" - der ist in die Falle getappt. Denn was hier abgebildet ist, ist eigentlich ein Maulwurfshügel auf einer Moorwiese. Dass dieses Häuflein Erde uns so an handelsübliche Blumenerde erinnert, liegt daran, dass die meisten handelsüblichen Blumenerden leider zu einem Großteil aus dem bestehen, was uns dieses kleine Säugetier an die Oberfläche geschleudert hat: Torf. Dieser wird dann aber nicht durch unzählige Maulwurfhändelein aufgeworfen, sondern mit großen Maschinen abgebaut. In Deutschland und, um den Bedarf zu decken, im Ausland. Das ist Naturzerstörung im großen Stil, das ist aktives Befeuern des Klimawandels.
Zum Glück ist es relativ einfach, seine eigene Schuld an diesem ökologischen und klimatologischen Schlamassel ein wenig zu mindern. Wenn man selber gärtnert, verzichtet man einfach auf solche Blumenerden, die Torf enthalten. Entweder, indem man einen eigenen Kompost anlegt, oder, indem man nur auf torffreie Produkte zurückgreift. Aber Vorsicht ist geboten: Man möge meinen, "Bio"-Blumenerden zu kaufen, genüge, doch der Begriff "Bio" ist für Blumenerden nicht geschützt, kann also quasi auf jedes beliebige Produkt gedruckt werden. Findet man keine Erden mit dem Schlagwort "torffrei" oder "ohne Torf", muss man entweder ins Kleingedruckte auf der Rückseite der Verpackung schauen, oder sich anderswo Hilfe suchen. Die gibt es glücklicherweise, zum Beispiel in Form des "BUND Einkaufsführers für torffreie Erden". Kauft man lieber "fertige" Topfpflanzen statt Saatgut, wird es schon schwieriger, denn auf was für Substrat die Pflänzlein gezogen wurden, ist nicht unbedingt ersichtlich und auch Bio-Gärtnereien (dieses Mal mit echtem Bio-Siegel) nutzen schonmal torfhaltige Pflanzerden. Auch hier könnten Paludikulturen eine Lösung sein. Statt den historisch gewachsenen Torf abzubauen, kann man Gemüse- und Zierpflanzen auf Torfmoos wachsen lassen. Dies lasse man auf wassergesättigten Flächen wachsen und ernte es ca. alle zwei Jahre, um daraus Pflanzsubstrat herzustellen. Während dieser zwei Jahre bieten die Flächen Lebensruam für Insekten, Amphibien und Vögel.
Ein Ökosystem mit Imageproblem
Dass wir Menschen uns schwer tun, "gutes Ackerland" zu vernässen, ja, wieder zu vernässen, braucht niemanden wundern, haben wir doch über Jahrtausende genau das Gegenteil getan - Gräben gezogen, trocken gelegt - um mehr Ackerfläche zu schaffen, um mehr Nahrung für unser karges Leben produzieren zu können. Moore mit ihren nassen Senken, in denen man - den Gruselgeschichten zufolge - nur allzu leicht versinkt, hatten lange Zeit ein schlechtes Image. "Drain the swamps", ein Kampfbegriff, der dazu aufruft, etwas Lebensfeindliches zu etwas Gutem zu machen. Auch in alten Märchen und Sagen wird die Beziehung zu Sumpf und Moor deutlich. Diese Geschichten stammen aus Zeiten vor der Globalisierung, wie wir sie heute kennen, aus Zeiten, wo das Volk mühsam den eigenen Acker bestellte und eine einzige "Laune der Natur" die Existenz einer ganzen Familie gefährden konnte. Aber auf den "toten", dauernassen Flächen gediehen die Nutzpflanzen nicht.
So heißt es zum Beispiel in einer sorbischen Sage: "Lange schon hatte er sich über den Sumpf und das Moor rings um das Dorf geärgert, wo fauliges Wasser schwarz und träge zwischen Torfmoos, Riedgras und Sumpfporst stand und wo nachts Irrlichter ihr Wesen trieben. Und nun ließ er Kraft seines Wissens das Wasser aus Sumpf und Moor ablaufen, sodass dort gutes, süßes Gras wachsen konnte und Buchweizen und Hirse, Lein und Mohn, Zwiebeln, Bohnen, Erbsen, Kohl und Rüben." (aus: "Meister Krabat der gute sorbische Zauberer", M. Nowak-Neumann. Domowina-Verlag.)
Auch in J.R.R. Tolkiens "Der Herr der Ringe" sind die Moore klar negativ besetzt: "The marshes were bewildering and treacherous, and there was no permanent trail even for Rangers to find through their shifting quagmires. The flies began to torment them, and the air was full of clouds of tiny midges that crept up their sleeves and breeches and into their hair. [...] There were also abominable creatures haunting the reeds and tussocks that from the sound of them were evil relatives of the cricket." (aus: "The Fellowship of the Ring"). "Wrenching his hands out of the bog, he sprang back with a cry. 'There are dead things, dead faces in the water,', he said with horror. 'Dead faces!' Gollum laughed. 'The Dead Marshes, yes, yes: that is their name,', he cackled. 'You should not look when the candles are lit.'" (aus: "The Return of the King")
Mittlerweile weiß man es besser. Die Gruselgeschichten sind vor allem das: Gruselgeschichten. Allerhöchstens noch Relikte aus Zeiten, da man diese besonderen Ökosysteme und ihre Phänomene (Irrlichter?) nicht verstand. Und wo die öden Feuchtflächen noch so ausgedehnt waren, dass man sich tatsächlich leicht verirren konnte.
Diese Zeiten sind vorbei, der Großteil der Moore innerhalb der bundesdeutschen Grenzen ist entwässert, vom Laien als ehemaliges Feuchtgebiet kaum zu erkennen. Wo sie noch in näherungsweise naturnaher Form existieren, sind sie auf unseren Schutz angewiesen. Sie - das sind nicht nur Torfmoose und Binsen. Es sind auch Sonnentau und Kuckucks-Lichtnelke, es sind Kreuzotter, Moor-Taumelkäfer, Hochmoor-Perlmuttfalter und Großer Moor-Bläuling, es sind die blubbernden Moorfrösche und die Uferschnepfen und viele andere. Manchen könnte es bald so ergehen wie dem Goldregenpfeifer. Auch er war unser Schützling. Auch ihn haben wir im Stich gelassen.
Mein Tipp: Lassen wir die Schauergeschichten aus Moor und Sumpf für gemütliche Abende am Kaminfeuer, mit Kuscheldecke, einem Tee oder Kakao. Sie sind es allemal wert, gelesen zu werden. Die echten, noch existierenden Moore aber wollen wir mit anderen Augen betrachten. Lasst uns dafür die Moore in unserer Umgebung erkunden (soweit vorhanden), lasst sie uns kennen lernen. Denn nur was man kennt, kann man gut schützen. Und was man gut kennen lernt, lernt man vielleicht auch lieben. Was man liebt, bewahrt man.
Und an kühlen Herbsttagen, wenn der Nebel sich in dicken Schwaden auf die stillen Wasser legt, flüstert uns vielleicht doch der eine oder andere Moorgeist zu... und bedankt sich dafür, dass wir ihm sein bescheidenes Zuhause nicht dräniert und planiert, sondern erhalten haben.